04 / TEAM EVOLUTION LINE

Der Klang der Evolution

 

„Wenn du das hörst, geht dir das Mechanikerherz auf“, sagt Manfred Kürbis. Wir sind in der vollautomatischen Fertigungslinie für die dynamischen Mikrofone der evolution Familie, liebevoll abgekürzt zu Evo Line oder Evo. Die Anlage füllt einen ganzen Raum im Altbaubestand vom Sennheiser Headquarter in der Wedemark bei Hannover. Sowohl physisch als auch akustisch. Der Raum ist lang und schmal, die Fertigungslinie nimmt vorn an der Tür den Platz fast in voller Breite ein. Eindrucksvoll präsentiert sich hier, wo der Besucher als erstes den Raum betritt, das Herzstück der Anlage: die Kapselfertigung. Aus einer Folie werden die Membranen gestanzt und sanft in den Rundtisch eingespielt. Im nächsten Schritt werden sie mit den Schwingspulen verheiratet, die an der angegliederten Arbeitsstation gewickelt werden. Der Rundtisch dreht sich eine Raste weiter und die weiteren Montageschritte schließen sich an. Am Ende dieser Maschine kommen die fertigen Kapseln in die automatische Qualitätsprüfung. Nur diejenigen, die diesen ersten akustischen Test bestehen, dürfen weiterverarbeitet werden und fahren in die Montageeinheit weiter, die sich direkt dahinter anschließt. Für die „durchgefallenen“ Kapseln heißt es hier bereits Endstation Schrottpresse!

Vollautomatische Fertigungssysteme gibt es heute an verschiedenen Standorten der Sennheiserproduktion, in Albuquerque, in Tullamore und natürlich am Stammsitz in der Wedemark. Die Evo Line war die erste, mit ihr hat 1997 alles angefangen.

Sennheiser stand in den 1990er Jahren vor der Frage, wie dem Preisdruck aus Asien zu begegnen sei. Produktion in Deutschland ist teuer, je mehr Hände benötigt werden, desto teurer. Die Umstellung der dynamischen Kapselproduktion von der Hand- bzw. halbautomatischen Montage auf vollautomatische Fertigungssysteme war die einzige Lösung, um die Produktion weiterhin am Standort Deutschland zu halten. Und das war eine technische Herausforderung. Denn für eine Anlage, wie sie den Sennheiser Verantwortlichen vorschwebte, gab es keinerlei Vorbilder. Sie musste selbst entwickelt werden. Die Sennheiser Ingenieursbelegschaft war uneins. Die Meinung reichte von „Das funktioniert nie!“ bis „Wir können das schaffen.“. Ein Team motivierter Ingenieure setzte sich daran, die Idee, die Automatisierung der Fertigung dynamischer Mikrofone, umzusetzen. Das war echte Pionierarbeit, denn es gab bis dato nichts Vergleichbares, keine Orientierungspunkte, an denen man ansetzen konnte.

Mit dem Blick in eine andere Branche fand man in der Uhrenindustrie man ähnliche Ausgangsbedingungen vor: kleine Bauteile und hochpräzise Systeme. Deshalb fuhren die Ingenieure oft nach Süddeutschland, um sich bei Uhrenherstellern zu informieren, und entwickelten mit einem Hersteller zusammen die Anlage passend zu den benötigten Prozessen. Die Arbeitsprozesse, die man aus der Handfertigung im Mikrofonbau kannte, übertrug man in die Automatisierung. „Es gab damals bereits eine halbautomatische Wandlerfertigung bei Sennheiser. Das war ein Rundtisch, der durch ein Fußpedal des Mitarbeiters weitergedreht wurde. Nach diesem Konzept wurde die Wandlermaschine gebaut,“ erinnert sich Axel Bergmeier. Der komplexe Wandlerbau ist in der Evo Line ebenfalls als Rundtischprinzip angelegt, weshalb dieser Bereich der Anlage auch so ausladend ausfällt. „In moderneren Anlagen haben wir da andere Lösungen gefunden. Wir mussten halt erst einmal lernen, dass vollautomatische Fertigung ein Umdenken in den Prozessen verlangt.“  Für die Zukunft gewann man aus dieser ersten Anlage viele Erkenntnisse, so dass etwa automatische Fertigung im Denken anders funktioniert als in der analogen Handmontage. Denn natürlich blieb es nicht bei der Evo Line. „In Irland haben wir dann ab 2004 vollautomatische Systeme für die Kopfhörerkapselproduktion hochgezogen. Nach und nach. Jetzt haben wir dort 5 Systeme ähnlich der Evo Line in Betrieb. Das neuste Kind des Engineerings ist die MDA Linie im Hauptwerk für die dynamischen Miniwandler der InEar-Hörer: produktionstechnisches High Tec der neusten Generation, in Stückzahlen und Geschwindigkeit der Evo Line überlegen.“ Hätte man damals vor 22 Jahren nicht den ersten Schritt gewagt, wer weiß wo Sennheiser heute wäre?

Fragt man verschiedene Kollegen, wie sich der Start der Evo Line als erste vollautomatische Anlage gestaltete, so erhält man sehr gegensätzliche Aussagen. Ende 1997 wurden die ersten Maschinen aufgebaut. Ein ganz neues Produkt, die evolution Mikrofone sollten über die Anlage gefertigt werden. Das war ein Markteinstieg, der parallel zum Aufbau in der Produktion bereits kräftig beworben wurde. „Wir konnten ewig nicht liefern, weil die Anlage noch nicht richtig arbeitete,“ erzählen die einen. Jene, die dabei waren, sagen: „Eigentlich haben wir sie schnell zum Laufen gebracht. Der Start war holperig, aber dann waren wir recht schnell bei 80%. Weitere Nacharbeiten und Feinjustierungen machten die Evo Line dann effektiver.“ Aufbauen und einschalten? So einfach ist das nicht mit einer vollautomatischen Fertigungsanlage. Sennheiser steht für Qualität und natürlich sollte diese auch geliefert werden. Nun gibt es in der Produktion hochsensibler Audioprodukte extrem enge Toleranzen in den Montageprozessen. Eine Toleranz, die mit dem menschlichen Auge nicht wahrnehmbar ist, kann die Akustik immens beeinträchtigen. Die neue Evo Line musste erst einmal dahingehend kalibriert werden. Viele verschiedene Fertigungsschritte mussten zehntelsekundengenau getaktet werden, damit alles rund lief. Kalibrieren, testen, kalibrieren, testen: So etwas kostet Zeit, denn natürlich waren die Ingenieure erst zufrieden, als die Testergebnisse perfekt waren.

Da man nicht wusste nicht, wie die neuen Mikrofone am Markt ankommen würden, war die Evo Line aus Gründen der Auslastung so gebaut worden, dass man tageweise zwischen der Produktion von Mikrofon- oder Kopfhörerwandlern wechseln konnte. Innerhalb weniger Jahre bewiesen sich die evolution Mikrofone als Verkaufsschlager und mit der Inbetriebnahme der ersten Linie in Irland lief dann der letzte Kopfhörerwandler in der Evo Line von der Anlage. „Das war der HDC 55 für die Lufthansa, das weiß ich noch ganz genau“, erinnert sich Michael Nickel, „seitdem bauen wir hier nur noch Mikrofone.“ 750.000 dynamische Kopfhörer hatte die Evo bis dato ausgestattet.

Die Evo Line produziert im Jahr etwa eine halbe Million Kapseln und Mikrofone. Die Kapselmaschine baut nicht nur für evolution, sondern auch die Basismodule anderer dynamischer Sennheiser Mikrofone, wie zum Beispiel der - Rockheiser genannten - MMD 9235. „Die Evo Line ist einzigartig. Sie wurde für Sennheiser gebaut und die Ingenieure haben über die Jahre die Prozesse weiterhin optimiert, Änderungen vorgenommen, Teile ausgetauscht und so handelt es sich heute natürlich längst nicht mehr um die Maschinen, die der Hersteller 1997 bei uns eingerichtet hat. Sie ist ein echtes Unikat.“ Betreuung, Pflege und Wartung der Anlage obliegt allein den Sennheiser Mechanikern, schließlich kennen die ihr altes Mädchen am besten. So betreuen in jeder Schicht zwei Techniker die Evo Line. Und die Dame ist anspruchsvoll! Wenn es nicht perfekt rund läuft in der Feinabstimmung, müssen die Techniker ran und ihre Fingerfertigkeit beweisen. Jeder, der hier arbeitet, kennt die Anlage aus dem Effeff. „Wenn du reinkommst, erkennst du schon am Klang, ob es rund läuft oder etwas nicht stimmt. Bevor es die erste Fehlermeldung vom System gibt.“

Maschinen machen Lärm, auch die Evo Line hat da ihren ganz eigenen Sound. „Du weißt genau, wie die Anlage klingen muss. Jede Unregelmäßigkeit hörst du dann sofort heraus. Störgeräusche, die da nicht hingehören, oder wenn der Rhythmus nicht stimmt“. Die zahlreichen Kontrollmonitore unterstützen die Überwachung der Anlage. „Visuell nimmst du auch sofort wahr, wenn etwas unrund läuft. Wir können dann eingreifen, bevor Schaden entsteht. Eine solche Anlage wie die Evo Line, kannst du nicht einfach einschalten und sich selbst überlassen, sie braucht ständige Betreuung,“ äußert sich Manfred Kürbis, „und“, fügt er mit einem Schmunzeln hinzu, „manchmal braucht sie auch einfach nur ein paar Streicheleinheiten.“

75 JAHRE, 75 MOMENTE.

75 JAHRE, 75 MOMENTE.

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