Es gibt Klänge, denen es gelingt, die Seele zu berühren, zu trösten, zu stärken, aufzurichten. Ein guter Klang hat Charisma. „Charis“ heißt wörtlich Gnade, aber ebenso „Anmut des Schönen“. Die Suche nach diesem perfekten Klang ist mein Lebensziel geworden, mein Leben ist eine Reise ins Herz des Schalls. Um aufbrechen zu können, habe ich die Schule abgebrochen und eine Geigenbauschule besucht. Um weiterzukommen, habe ich Physik studiert. Und um anzukommen, habe ich schließlich das Unmögliche gewagt: einen Klang zu konstruieren, den so noch kein Instrument der Welt gespielt hat. Und noch immer bin ich nicht dort.
Andere mögen es geschafft haben: Antonio Stradivari und Joseph Guarneri del Gesù, die großen italienischen Geigenbauer. Die Geheimnisse, die sie mit ins Grab nahmen, haben bis zum heutigen Tag etwas Singuläres: Ihre Werke erzielen nicht nur als Kunstobjekte Millionensummen. Sie werden auch heute noch von den großen Virtuosen gespielt. Wie ist das möglich? Diese Frage bewegt mich, seitdem ich als Siebenjähriger eine kleine schwäbische Musikschule besuchte. Die Musik wurde mein Leben. Sonntags musizierten wir zu Hause, ich spielte im Kammerorchester, in einer Hardrockband und in der Fußgängerzone; wir bauten sogar eigene Röhrenverstärker. Den Rest der Zeit über beantwortete mir die Schule unentwegt Fragen, die ich gar nicht hatte. So brach ich sie nach der zehnten Klasse ab, um eine Geigenbaulehre zu beginnen, getrieben von der Vision, einmal klangschönere Instrumente als Stradivari zu bauen – oder wenigstens zu erforschen, warum das gar nicht erst möglich ist.
Hatten die Altmeister im 18. Jahrhundert ein geheimes Wissen? Oder hat der Alterungsprozess des Holzes eine klangliche Reifung hinzugetan, die junge Instrumente noch nicht haben können? Die Geige an sich ist in einer bemerkenswerten Zeit entstanden. Die Meister der Renaissance empfanden die Verbindung von Kunst und Wissenschaft als selbstverständlich. Ihre künstlerischen Werke sind ohne ihre Beobachtungsschärfe, ohne ihr Naturgefühl kaum denkbar. Solche hochgradig optimierten akustischen Systeme können nur in einem Milieu begnadeter Empirie und ganzheitlicher Intuition entstanden sein. Erst im 19. Jahrhundert verkam die Kunst des Geigenbaus zum industriell revolutionierten Handwerk.
Die Zunft hatte also ihre Seele verkauft. Wie aber würde ich versuchen, den Kontakt zur Klangkunst wiederherzustellen? Ich begann damit, unzählige Rezepturen alter Lacke nachzukochen. Bald wurde mir klar: So wie die alten Meister würde auch ich die Wissenschaft bemühen müssen, ohne dabei die Kunst zu vergessen – so, wie es mir der Akustiker Helmut Müller gezeigt hatte. Der Physiklehrer meiner Geigenbauschule betrieb in seinem Schalltechnischen Beratungsbüro Müller-BBM ein Forschungslabor. Dort ließ er mich all den ungeklärten Fragen nachgehen, mit denen ich ihn jahrelang traktiert hatte.