PEOPLE: Jack Garratt

Eine neue Art von Musik

People

Im Mittelpunkt von „Future of Audio“ – steht der Mensch. Einzelne Menschen mit Einfallsreichtum und Kreativität, die es wagen, ihre Vorstellungen in die Tat umzusetzen. Entscheider mit dem Willen, ihre Klientel durch neue Audiowelten zu erreichen. Klangenthusiasten, die uns mit innovativen Projekten Hörerlebnisse verschaffen, die unser Inneres bewegen. Mit „Menschen“ sprechen wir alle Musiker, Künstler, Toningenieure, Produzenten, Entscheidungsträger, Sound-Designer an, die unsere Welt zu einem sinnlichen  Klanguniversum werden lassen. 

Jack Garratt gilt in England als die Musik-Hoffnung für 2016. Die BBC wählte den Multiinstrumentalisten zum Newcomer des Jahres. Doch um auf diesen Weg des Erfolgs zu gelangen, musste Jack Garratt sich zuerst selbst verlieren.

  • Autor: Simon E. Fuchs
  • Fotos: Universal / Island Records
„Erster Platz der potentiell erfolgreichsten Pop-Newcomer der BBC“

Er fühlt, was er spielt und er spielt, was er fühlt. Jack Garratts Art, sich auszudrücken, ist ungewöhnlich. Er singt und drückt auf die Tasten seines Keyboards, gleichzeitig hängt eine Gitarre um seine Schulter, spielt er sie nicht, nimmt er einen Drumstick in die rechte Hand und triggert ein Pad, durch das er das Schlagzeug in seine Songs holt. So sieht für ihn die Musik der Zukunft aus.

Garratt steht hinter dieser Instrumentenformation, als hätte er nie etwas anderes gemacht. Seine Musik schlägt im gleichen Rhythmus wie der Puls der Zeit und wabert zwischen Pop, Soul, R&B und Elektro. Man erkennt in ihr eine sympathische Schüchternheit. Gleichzeitig ist sie etwas zu rau, um auf Dauerschleife im Radio zu laufen.

Gerade das gefällt. Von den britischen Medien wird Garratt als der neue Ed-Sheeran gefeiert. Der 24-Jährige wurde auch auf den ersten Platz der potentiell erfolgreichsten Pop-Newcomer der BBC gesetzt. Eine Liste, auf der auch schon Namen wie Adele, Lady Gaga und 50 Cent standen, als diese Namen noch niemandem etwas gesagt haben. Für Garratt hätte das Jahr 2016 nicht besser beginnen können. Doch um an diesem Punkt zu stehen, an dem er sich und seine Musik gefunden zu haben scheint, musste Garratt erstmal ganz von vorne anfangen.

Garratt: Ein bisschen Hipster, ein bisschen Farmboy

Tritt Garratt heute hinter seine Instrumente, sieht man einen jungen Mann, ein bisschen Hipster, ein bisschen Farmboy. In einem Live-Video zum Song „Worry“ trägt er ein weißes T-Shirt, natürlich an den Ärmeln hochgekrempelt. Seine Locken versteckt er unter einer bunten Kappe. Mit seinem roten, vollen Bart würde er als Werbemodell für die angesagten Großstadt-Boutiquen ausgebucht sein. Und doch hat sein Auftreten nichts Aufgesetztes. Als wenn er eher auf dem Land zu Hause ist, als im pulsierenden London.

Seine Jugend verbrachte Garratt tatsächlich nicht in einer Großstadt, sondern in Little Chalfont, einem kleinen Ort westlich von London. Wälder und Felder statt Clubs und Malls. Zu Hause spielt der Plattenspieler Songs von Stevie Wonder, Tom Waits und Stevie Ray Vaughan. Sie werden seine Idole. Früh nimmt Garratt Instrumente in die Hand. Seine Eltern, eine Lehrerin und ein Polizist, schicken ihn als Kind zum Musikunterricht. Er habe nach Aufmerksamkeit gelechzt. Der Unterricht als Versuch, diesen Charakterzug durch Singen und Musikmachen zu bedienen. „Ich habe es wirklich genossen, Töne zu kreieren und die Reaktionen auf diese Töne zu beobachten“, sagt Garratt heute in einem Interview mit der BBC.

Mit 12 nimmt er seine ersten Songs auf, mit 13 steht er zum ersten Mal auf einer TV-Bühne. Es ist der britische Vorentscheid des „Junior Eurovision“. Jack Garratt singt seinen Song „The Girl“. Und wird letzter.

Das sei das erste Mal gewesen, dass er als Musiker etwas erreichen wollte, sagt Garratt heute. Aber seine Intentionen seien falsch gewesen: „Ich habe es für die Aufmerksamkeit gemacht, und nicht für die Liebe zu dem, was ich da gerade mache.“

Von diesem ersten letzten Platz lässt sich Garratt aber nicht abschrecken. Er schreibt weiter eigene Songs, seine Musik bewegt sich Richtung Blues. Sein erstes fertiges Album veröffentlicht er jedoch nie. „Ich wusste, dass ich etwas ändern musste. Ich hatte keinen richtigen Spaß und ich mochte die Songs nicht, die ich schrieb“, sagt er heute. Seine Midlife-Crisis hat Garratt nicht mit 40, sondern mit Anfang 20: „Das hat mich noch fertiger gemacht“.

Garratts neue Unabhängigkeit: Er hat seine Stimme gefunden

Garratt bricht sein Studium ab, er wollte eigentlich Lehrer werden. Ein Jahr lang nimmt er sich Zeit für sich und seine Musik. Er tüftelt, probt und horcht in sich hinein. Und schreibt neue Lieder. Songs wie „I couldn’t want you anyway“, der ihm wie er selbst sagt, die Augen und Ohren geöffnet habe. Zum ersten Mal kann er genau das ausdrücken, was er fühlt. „Von der Minute an, von der ich Musik mit einem anderen Level von Respekt gegenübergetreten bin, hat sich alles wie von selbst gefügt“, sagt Garratt.

Er engagiert einen guten Freund als Manager. „Ich habe meinen Weg wieder gefunden, der sich so natürlich angefühlt hat, obwohl ich wusste, dass ich ihn noch nie gegangen war“, sagt er. Garratt hat seine Stimme gefunden.

Mit Kreativität verfolgt er seinen eigenen Weg

Heute wird Garratt genau für diesen Sound und diese Stimme gefeiert. Neben dem ersten Platz auf der BBC-Liste „Sound of 2016“ gewann er für sein Debütalbum „Phase“ Anfang des Jahres den Kritikerpreis der Brit Awards. Mittlerweile ist er bei dem bekannten Label „Island Records“ unter Vertrag.

Doch bei all dem Ruhm und bei all den Preisen verstecken sich in Garrats Songs Erinnerungen an die suchenden Zeiten des Musikers. „The right side of my bed has always left me feeling stuck in between; Everything I know and all the lies I tell myself so I can sleep“, singt er in dem Song „Worry“. Er selbst spricht von einer natürlichen Dunkelheit, die jeder in sich trage und die in den meisten seiner Songs durchscheint. Vielleicht ist es gerade diese Suche und das Gefühl, noch nicht bei sich angekommen zu sein, in dem sich so viele junge Großstädter wiedererkennen.