Jonathan Stockhammer

„Den perfekten Sound muss man fühlen“

People

Im Mittelpunkt von „Future of Audio“ – steht der Mensch. Einzelne Menschen mit Einfallsreichtum und Kreativität, die es wagen, ihre Vorstellungen in die Tat umzusetzen. Entscheider mit dem Willen, ihre Klientel durch neue Audiowelten zu erreichen. Klangenthusiasten, die uns mit innovativen Projekten Hörerlebnisse verschaffen, die unser Inneres bewegen. Mit „Menschen“ sprechen wir alle Musiker, Künstler, Toningenieure, Produzenten, Entscheidungsträger, Sound-Designer an, die unsere Welt zu einem sinnlichen  Klanguniversum werden lassen. 

Er ist ein Mann zwischen den Welten, wandelt zwischen Klassik und Pop. Jonathan Stockhammer ist aktuell einer der gefragtesten Dirigenten weltweit. Was bei jedem seiner Projekte gleich bleibt: sein Streben nach Exzellenz.

  • Autor: Simon E. Fuchs
  • Fotos: Sennheiser / Philip Peine
„Er lebt für eine Innovationskultur.“

Der Dirigent Jonathan Stockhammer sitzt bei einem späten Frühstück in einem Londoner Hotel. Er trägt Flipflops und ein rosa T-Shirt. Vor ihm: ein Lachsbrötchen, ein grüner Gemüse-Smoothi, ein Kaffee. Bis zwei Uhr nachts hat er mit seinen Musikern den Erfolg des letzten Konzerts gefeiert. Ein Konzert zwischen Klassik und Pop, mit den Nachwuchsmusikern der Jungen Deutschen Philharmonie und Imogen Heap in der Westminster Central Hall. Ein Wanderer zwischen den musikalischen Welten.

Am Vorabend trägt Stockhammer einen dunklen Smoking, seine schwarzen Schuhe glänzen. Er steht rechts an der Bühne und wartet auf seinen Einsatz. Seine Hände samt Taktstock sind hinter dem Rücken verschränkt, sein Blick ist meditativ in die Leere gerichtet. Er hat vergessen zu essen, seine ganze Aufmerksamkeit galt der Suche nach dem perfekten Klang für das perfekte Konzert. Sein Name ertönt von der Bühne, das Publikum klatscht, Stockhammer löst sich aus seiner Starre. Mit federnden Schritten tritt er auf die Bühne ans Dirigentenpult.

Stockhammer gilt als einer der experimentierfreudigsten Dirigenten Deutschlands. Der gebürtige Amerikaner hat bereits aus einem Kran ein Konzert der Pet Shop Boys mit den Dresdner Sinfonikern auf den Balkonen eines Plattenbaus dirigiert. Herausforderungen sind seine Leidenschaft. Er lebt für eine Innovationskultur.

Früh kommt er in Kontakt mit klassischer Musik – sein Vater ist Bratschist, seine Mutter spielt Flöte. Doch auf den Wunsch seiner Eltern studiert er erst in Boston, bis er dem Ruf der Musik nicht länger widerstehen kann.

„Lebendigkeit spielend zeigen – dadurch zeichnen sich seine Konzerte aus“

Jonathan Stockhammer, Sie haben zuerst in Boston Sinologie und Politik studiert. Wie sind Sie zur Musik gekommen? Ein entscheidender Moment für mich war ein Konzert in der Avery Fisher Hall in New York. Es war Thanksgiving, ich konnte aber nicht zu meinen Eltern nach Los Angeles fahren. Also habe ich mir Karten für ein Klassikkonzert gekauft. Es hat an dem Abend geregnet, ich hatte keinen Schirm dabei. Also saß ich durchnässt und leicht fröstelnd im Publikum. Doch das habe ich nach den ersten Takten vergessen. Ich war überwältigt von der Schönheit der Musik und fühlte mich komplett in ihren Bann gezogen. Da wusste ich, dass Musik ein wichtiger Teil meines Lebens sein sollte. Ich habe dann in Los Angeles Komposition und Dirigieren studiert.

Wenn Sie für Klassikkonzerte nicht in Konzertsäle wie die Avery Fisher Hall gehen, wie hören Sie sonst Musik? Zu Hause habe ich eine sehr gute Musikanlage. Bei mir wurde vor einigen Jahren eingebrochen. Viele Sachen wurden gestohlen, unter anderem auch meine Stereoanlage. Ich wollte mir eine neue kaufen und hatte 17 oder 18 unterschiedliche Komponenten bei mir im Haus, um sie anzuhören. Mir ist klar geworden: bei einer Anlage geht es überhaupt nicht um Status oder Luxus. Sondern einfach nur um guten Sound. Die Unterschiede der einzelnen Anlagen waren konkret hörbar. Auf einigen Anlagen waren die Stücke einfach greifbarer und haben mehr Emotionen übertragen. Einige Details habe ich erst bei diesem Hören wiederentdeckt. Und das waren Aufnahmen, die ich schon mein ganzes Leben lang kannte.

Jonathan Stockhammer perfomed für London
„Vor fünf Jahren hat Stockhammer neue Wege des Musikhörens entdeckt“
„Es ist wichtig, das Handwerk des Komponisten zu spüren.“

Wie wichtig sind für Sie High-End Listening und Recording in der klassischen Musik? Für eine lange Zeit dachte ich, ich glaube nicht daran. Livekonzerte waren für mich am wichtigsten. Ich habe nicht viele Musikaufnahmen gehört. Vielleicht, weil ich zu sehr in meine Arbeit involviert war. Aber vor zirka fünf Jahren habe ich plötzlich etwas vermisst. Von da an habe ich wieder CDs gehört. So habe ich wunderbare Aufnahmen wiederentdeckt. Ich konnte mich von den Wellen des Orchesters tragen lassen. Für mich ist es wichtig, das Handwerk des Komponisten und den Moment zu spüren, der da aufgenommen wurde. Für mich ist es eine eigene Art von Kunst, Konzerte aufzunehmen. Es ist eine andere Art, zum Herzen eines Stückes zu gelangen.

Wie schaffen Sie es, mit den talentierten Musikern der Jungen Deutschen Philharmonie exzellente Konzerte zu spielen? Ich versuche, Interpretationen aus Leuten herauszukitzeln. Sie zu inspirieren, ein Stück anders zu spielen, als es schon zigfach gespielt wurde. Sie zu motivieren, neue Wege zu gehen. Dieses Konzept funktioniert sehr gut mit der Jungen Deutschen Philharmonie. Ich habe mit diesem Orchester schon mehrfach zusammengearbeitet und jedes Mal freue ich mich darauf. Der Enthusiasmus der jungen Musiker ist überwältigend. Genauso wie ich sie motiviere, geben sie mir Energie zurück. Ich liebe es, sie zu dirigieren. Jede Veranstaltung und jede Probe ist anders. Es ist jedes Mal wie eine Erleuchtung. Mit ihnen zu spielen fühlt sich für mich an wie eine Kopfwäsche. Wie ein Stück Heavy Metal in der Klassik.

Welchen Ansatz verfolgen Sie, wenn Sie Popsongs für Klassikorchester arrangieren? Viele Klassikvariationen von Popsongs nutzen die Klassikinstrumente nur als Dekoration. Es ist ja auch toll, mit 60 gut angezogenen Leuten auf einer Bühne zu stehen. Das an sich ist nicht schlecht. Aber es ist eine Verschwendung von Ressourcen. Ich versuche, die Sounds des Orchesters einzufangen und dem Stück eine neue Persönlichkeit zu geben. Denn gerade die Spannungen zwischen der Pop- und Klassikmusik macht ein Konzert oder eine Aufnahme so interessant.

Sennheiser HE 1 Event in der Westminster Abbey Central Hall
„Die unkonventionelle Zusammenarbeit zwischen Pop und Klassik“

Wie war die Zusammenarbeit mit Imogen Heap? Mein Ziel war es, mit dem Orchester und Imogen Heap nicht nur auf der gleichen Bühne zu stehen, sondern die Genres ineinander zu verweben. Denn Popmusik und Klassik sind im Grunde nicht sehr unterschiedlich. Ich finde ihre Musik sehr inspirierend. Sie ist eine Künstlerin, die ihr Handwerk versteht. Sie weiß genau, welchen Sound sie haben möchte. Und kann ihn am Computer, auf der Bühne, mit neuer Technologie zum Leben erwecken. Sie ist wie ein Dirigent ihrer eigenen Musik.

Wie sieht ihre Suche nach dem perfekten Sound aus? Jeder Dirigent hat seine eigene Art, dem perfekten Sound näher zu kommen. Für mich existiert er nicht auf dem Papier. Man muss ihn fühlen. Die Musik kann bewegend, verführerisch, sinnlich sein. Aber auch aufwühlen und Menschen ängstigen. Um diese Emotionen bei den Zuhörern zu erreichen, wende ich gewisse Tricks und Techniken an. Denn ich kann einem Orchester nicht sagen, dass eine bestimmte Stelle im Stück emotional schwierig klingen soll. Diese Worte sagen nicht jedem etwas. Ich entwerfe deshalb zum Beispiel eine Landschaft, die diese Charakteristika hat.

War es für Sie rückblickend die richtige Entscheidung, in die Musik zu gehen? Es war eine sehr gute Wahl. Je länger ich im Musikbusiness bin, desto sicherer bin ich mir bei dieser Frage. Es macht so viel Spaß, ich lebe dafür. Ich kann aktuell so viel mehr Sachen machen, als ein normaler Dirigent sie machen würde. Ich arbeite an Opern, mache experimentelle Musik, spiele mit Jazzmusikern. Und habe die Chance, mit Popmusikern wie Imogen Heap auf der Bühne zu stehen.

Junge Deutsche Philharmoniker