Pedro Reyes

Musik als Material für Skulpturen

People

Im Mittelpunkt von „Future of Audio“ – steht der Mensch. Einzelne Menschen mit Einfallsreichtum und Kreativität, die es wagen, ihre Vorstellungen in die Tat umzusetzen. Entscheider mit dem Willen, ihre Klientel durch neue Audiowelten zu erreichen. Klangenthusiasten, die uns mit innovativen Projekten Hörerlebnisse verschaffen, die unser Inneres bewegen. Mit „Menschen“ sprechen wir alle Musiker, Künstler, Toningenieure, Produzenten, Entscheidungsträger, Sound-Designer an, die unsere Welt zu einem sinnlichen  Klanguniversum werden lassen. 

Der mexikanische Künstler Pedro Reyes (44) baut aus Waffen und Gewehre, die im Drogenkrieg konfisziert wurden, Musikinstrumente. Mit seinem Projekt „Disarm“ kritisiert er Waffenhersteller und reflektiert über Musik als gesellschaftliche Erfahrung.

Pedro Reyes, für Ihr Projekt „Disarm“ haben Sie Musikinstrumente aus Waffen gebaut. Was ist Ihr Ansatz? Ich wollte aus einem Instrument des Todes etwas schaffen, das Leben gibt. Als Bildhauer forme ich ständig Materie um. Meine Hoffnung im Fall von „Disarm“ ist es, parallel zur physischen Umwandlung der Waffen in Musikinstrumenten auch eine psychologische und gesellschaftliche Umwandlung auszulösen.

Welche denn? Ich will vor allem die Wahrnehmung von Waffen ändern. In den Medien, in Hollywoodfilme und in Video Games sind Waffen nach wie vor sexy, cool. Für mich sind sie hingegen etwas Zerstörerisches, etwas, das man kritisieren sollte.

Was unterscheidet denn Waffen von Musikinstrumenten? Musik ist für mich das Gegenteil von Waffen. Waffen schaffen Angst, Musik schafft hingegen Vertrauen. Waffen trennen, Musik verbindet. Indem ich aus einer Pistole eine Flöte baue oder eine Geige aus einem Revolver, habe ich eine radikale Änderung zwischen zwei Polen, Leben und Tod, Trennung und Union, geschaffen.

Woher haben Sie die Waffen? Das Verteidigungsministerium hat sie mir gegeben. Sie wurden Kriminellen aus Ciudad Juárez beschlagnahmt, eine Stadt, die zum Symbol des Drogenkrieges geworden ist.

Hat der Drogenkrieg einen Einfluss auf Ihr Projekt gehabt? Der Krieg ist ein Geschäft. Allerdings kritisieren Menschen oft die Person, die mit einer Waffe schießt, aber nicht die Industrie, die durch den Waffenverkauf floriert. Doch für mich sind beide zumindest gleich verantwortlich. „Disarm“ ist ein Projekt, das die Waffenindustrie kritisiert.
Der Drogenkrieg hat sich als falscher Ansatz im Kampf gegen Drogen in Mexiko herausgestellt. Er hat mehr Tote verursacht als die Drogen selbst: 800 Menschen sterben jährlich an Drogenkonsum, 12000 hingegen wegen des Drogenkrieges. Die einzige, die von diesem Krieg profitiert, ist die Waffenindustrie.

An „Disarm“ haben auch Musiker mitgewirkt... Ja, sie waren sehr wichtig und haben mich bei der Konzeption sehr geholfen. Vor allem haben sie dazu beigetragen, dass die Instrumente so klingeln, wie sie klingeln sollte. Die Entstehung des Projekts war eine sehr transformative Erfahrung.

Wie sind sie am Anfang vorgegangen? Sie hatten eine Pistole in der Hand und dann... Am Anfang war ich wie ein Urmensch: Ich habe das Metall gekratzt, geschlagen, geschnitten, um Sound daraus zu holen. Aus einer Pistole habe ich eine Flöte gebaut, aus einem Gewehr ein Xylophon. Je nach Länge der Metallteile bekommt man andere Klänge, so dass man eine gesamte Skala an Noten schaffen kann. Die Musiker, die mich beraten haben, und ich haben einen Stuck Metall und Ingenieurarbeit, der zum töten gebaut wurde, in etwas umgewandelt, das Musik produziert.

„Die Musik hat die Macht, Menschen zu verbinden.“

Was ist die Rolle der Musik in Mexiko? Musik schafft in Mexiko, aber nicht nur dort, Frieden. Ich habe das Projekt in mehr als zehn Ländern ausgestellt und überall hatte ich eine positive Rückmeldung, egal ob in Italien, in der Türkei oder in den USA. Ich glaube, dass Musik die Kraft hat, Verbindungen herzustellen. Wenn eine Band auftritt sind alle Menschen im Raum durch die gleiche Erfahrung vereinigt. Musik hat eine unglaubliche Kraft, gerade in unserem Zeitalter, in dem Menschen dazu neigen, sich zu isolieren und auf ihre mobile Geräte zu schauen. Gerade jetzt ist es wichtig, durch gemeinsame Erfahrungen mit anderen Menschen verbunden zu sein.

Ihr Projekt ist eine unendliche Quelle für neue Kunststücke... Ja. Die Instrumente gehen um die Welt. Lokale Musiker spielen sie, benutzen sie für ein Konzert oder nur für ein Leid. Es ist eine unendliche Bereicherung: Jedes Mal, wenn jemand die Instrumente benutzt, entsteht automatisch ein neues Kunstwerk.

„Kunst soll kein Monopol der Künstler sein.“

Soll also Kunst für alle zugänglich sein? Kunst soll kein Monopol der Künstler sein. Kunst ist eine der wichtigsten menschlichen Tätigkeiten. Jeder hat meiner Meinung nach das Potential, etwas zu schaffen. Deswegen interessiere ich mich für aktive Beteiligung, denn oft ist ein Kunstwerk erst dann fertig, wenn es benutzt wird. Musikinstrumente sind ein gutes Beispiel: Sie werden erst dann lebendig, wenn jemand sie spielt.

„Ich betrachte Musik als ein Material für Skulpturen.“

An welches Projekt arbeiten Sie gerade? Ich arbeite gerade an eine neue Skulptur, die ebenso Klänge involviert. Ich plane nämlich ein Bücherregal mit Schalplatten. Ich habe viele viele Platten von Dichtern und Schriftstellern gekauft, die ihre Werke laut vorlesen.

Ich habe die Idee für dieses Projekt gehabt, als Sennheiser seine neuen kabellosen Kopfhörer auf dem Markt gebracht hat. Lesen zwingt die Menschen in der Regel dazu, statisch zu bleiben und ihre Augen zu benutzen.

Mit den neuen Sennheiser Kopfhörer werden die Besucher durch die Ausstellung frei rumlaufen können und ihre Ohren anstatt ihre Augen benutzen. Die Lesefragmente werden wie Begleiter durch die Ausstellung sein.

Was ist ihre Vision für die Zukunft der Musik? Mich interessieren vor allem gesellschaftliche Erfahrungen, die man durch Musik schaffen kann. Mit Musik kann ich Menschen synchronisieren oder sie verschiedene Erfahrungen gleichzeitig machen lassen. Vor allem betrachte ich aber Musik als ein Material, das ich für Skulpturen benutzen kann. Genau so wie man mit Steinen oder Metall arbeitet, kann man auch mit Audio-Technologien arbeiten. Und das Aufregende ist: Neue Technologien werden ständig entwickelt, so dass es immer spannend bleibt.

Haben Sie einen Lieblingsclub? Generell mag ich Orte, die eine lange Geschichte mit sich tragen. Mein Lieblingsclub ist vielleicht der „Patrick Miller“ in Mexiko-Stadt. Es ist ein Ort, an dem Hi-NRG, also elektronische Tanzmusik, gespielt wird. Der Club bietet Heim-Audio-Lautsprecher und Lasershows. Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten treffen sich dort und tanzen gemeinsam mit besonderen Bewegungen. Der „Patrick Miller“ ist ein Ort, an dem auch ein Büroangestellter für eine Nacht wild werden kann.