Als Musik die Welt veränderte

„You say you want another revolution?“

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Wie die Zukunft klingt? Das erfahren Sie hier – wo die Musik spielt. An den Orten, an denen Innovative und Experimentierfreudige zusammenkommen, um gemeinsam mit anderen Neues zu hören und neu zu hören. Wir laden Sie ein, einen Blick hinter die Kulissen dieser Audiowelten zu werfen: angesagte Clubs, legendäre Aufnahmestudios, Kunst- und Klanglocations

Den wohl größten Moment der Sechzigerjahre haben viele verpasst. Wegen Verschiebungen im Ablauf trat Jimi Hendrix, der Headliner des Woodstock-Festivals, erst am Montagmorgen um acht Uhr auf. Vor seiner Bühne hatten sich die Zuschauerreihen deutlich gelichtet. Hendrix war das egal. Er tat eigentlich, was er immer tat: Er griff zu seiner Gitarre, schloss sie an einen Verstärker an und begann zu spielen. Doch was er da spielte, wurde zu einer dreiminütigen Revolution.

  • Autor: Gunter Ulrich
  • Fotos: V&A Museum London

Nicht, weil Hendrix sein Tremolo ausreizte und die Töne brachial verzerrte. Nicht, weil seine Gitarre jaulte und kreischte. Sondern weil sein Auftritt höchst politisch war. Jeder Ton war Anklage, Trauer, Protest und Wutschrei gegen den Krieg der Amerikaner in Vietnam und für Freiheit und Widerstand.

„Wenn man sich fragt, in welche Richtung sich die Welt entwickeln wird, muss man in den Sechzigern nach einer Antwort suchen.“

47 Jahre später wird dieser Moment, dieser Montag im August des Jahres 1969, mithilfe des AMBEO® 3D-Audiosystems wiederbelebt. Und zwar im V&A-Museum in London, Großbritanniens Museum des Jahres, wo am 10. September die Ausstellung beginnt, die die Rebellen und Helden der späten Sechziger in die Gegenwart holt: „You say you want a Revolution? Records and Rebels 1966–1970.“ Kuratiert von Geoffrey Marsh und Victoria Broackes, die 2013 mit ihrer Ausstellung zu David Bowie schon einen beachtlichen Erfolg mit einem Musikrebellen gefeiert hatten, und mit Sennheiser als offiziellem Partner, der mit seiner immersiven Audioinstallation verantwortlich für das innovative Sounderlebnis im weltweit führenden Museum für Kunst, Design und darstellende Künste ist.

„Werte, um die es in den Sechzigern ging, sind heute wieder aktuell: Emanzipation, Toleranz, Anti-Rassismus und gleiche Rechte für alle“, sagt Martin Roth, der Direktor des V&A. Diese Werte will er vermitteln, seine Besucher aber auch ermahnen. „Man muss sich fragen: Wie gehen wir heute mit diesen Werten um? Wir haben eine sehr unterhaltsame Ausstellung geschaffen, die gleichzeitig grausame Fragen stellt.“

In einem der Haupträume der Ausstellung läuft Hendrix’ Auftritt auf vier riesigen Leinwänden. Schwarz-weiße Bilder zeigen ihn, wie er anfangs kaum eine Miene verzieht und später seinen Mund aufreißt. Seine Schreie sind seine Töne, die die Bomben und Schüsse in Vietnam verdeutlichen. Acht Sennheiser-Lautsprecher transportieren den führenden Sound aus der Vergangenheit nach London. Dazu vermittelt Sennheisers GuidePort-System Besuchern den Soundtrack dieser Ära.

Das AMBEO® 3D-System erzeugt mit seinem Upmix-Algorithmus beim Zuhörer nicht nur wegen der so bedeutungsvollen Klänge Gänsehaut. Von oben, unten, rechts und links kreischen die Saiten, eher aus dem Rücken klatschen und schreien Zuhörer. Da die 3D-Soundtechnik keinen Sweetspot hat, erscheint sie dem Zuhörer von überall her kommend. Man fühlt die Atmosphäre des Festivals, das als Höhepunkt der Hippiebewegung gilt und zum Mythos des „anderen“ Amerikas wurde.

„Das AMBEO®-System ist ein Ausstellungsstück für sich. Eine neu- und einzigartige Erfahrung für Besucher.“

„Es ist wichtig, dass man heutzutage verschiedene Technologien in einer Ausstellung vereint“, sagt Roth. Für den Museumsdirektor gibt es nichts Langweiligeres als tote Puppen mit hübschen Kleidern. Er zeigt Ausstellungen, die durch Filme, Fotos und Musik plastisch und lebendig werden. „Das AMBEO®-System ist da ein Ausstellungsstück für sich“, sagt Roth. „Eine neu- und einzigartige Sounderfahrung für Besucher.“

„Es ging nicht nur darum, eine fantastische Soundqualität in dieser Ausstellung zu haben“, sagt Kurator Marsh. „Wir wollen vermitteln, wie die Musik gehört wurde.“ Sennheiser habe sich bei diesem Vorhaben als perfekter Partner erwiesen. „Es war ein Privileg mit den Soundingenieuren zu arbeiten, die aus Hannover gekommen sind und dieses unfassbare Soundsystem installiert haben“, sagt Marsh. „Es hat einen enormen Einfluss auf den Zuhörer, es stellt einem die Haare im Nacken auf.“

Unter den Lautsprechern, auf dem mit grünem Kunstgras ausgelegten Boden, liegen mehrere Sitzsäcke. In einer Vitrine stehen die Überreste einer von Hendrix zertrümmerten Gitarre und zwei seiner erhaltenen Fender.

Mehr als 600 Ausstellungsstücke haben die Kuratoren Broackes und Marsh gesammelt. Darunter der Anzug, den George Harrison im Sgt. Pepper-Video trug, die handschriftliche Fassung von John Lennons „Imagine“ auf einem Notizzettel des New Yorker Hilton Hotels oder das Schlagzeug von „The Who“. Viele originale Kleidungsstücke, natürlich eine Menge Plattencover, Instrumente und Gemälde oder Grafiken. Alles um „das Rückrat der Ausstellung“, wie Broackes es nennt: Die mehr als 200 LPS große Sammlung von Radiolegende John Peel.

Revolution Records
„Mit einem Soundtrack auf ihren Ohren nehmen Besucher so viel mehr auf, als wenn sie nur Dinge in einem Glaskasten anschauen.“

Eine Ausstellung, die Grenzen sprengt

„Wir wollen eine Ausstellung zeigen, die die Grenzen von Ausstellungskonzepten sprengt“, sagt Broackes. Es habe schon eine Menge von Ausstellungen aus den 60ern gegeben. Aber immer mit einem Monothema: Mode, Grafik, oder Musik. „Aber Wir haben Beziehungen zwischen diesen Bereichen erkannt“, sagt Broackes. „Indem wir sie zusammenbringen, können wir die verschiedenen Objekte in einer neuen Art präsentieren und gleichzeitig reflektieren, welche Bedeutung sie für die heutige Zeit haben.“

Marsh und sie wollten keinen Nostalgietrip, sondern eine Ausstellung mit Relevanz. Im Hinblick auf die anstehende Präsidentschaftswahl in den USA, auf die Brexit-Entwicklung in Großbritannien und die aktuelle Lage in Europa haben die 60er nicht nur für Roth, sondern auch für Broackes eine enorme Aussagekraft. „Es war die Zeit der Träume und der Verwirklichung der Träume“, sagt sie. „Wenn man sich heute fragt, wie man seine großen Ziele auch tatsächlich erreicht, muss man auf die Menschen der 60er schauen.“

Zu einer Zeit, als man in England für bestimmte Verbrechen noch gehängt werden konnte, als Abtreibung und Homosexualität illegal waren, nahm Musik eine wichtige Rolle ein. „Zeitungen und Fernsehsender waren meist staatlich kontrolliert“, sagt Marsh. „Aber Musik hat alle jungen Leute miteinander verbunden.“ Musik war die global verständliche Form der Kommunikation. Musik nahm die Rolle ein, die heute soziale Netzwerke ausfüllen. „Ende der 60er fühlte man sich durch Musik als Teil eines weltweiten Ganzen“, sagt Marsh. Er sieht in dieser Zeit die Anfänge von Umweltschutzbewegungen, von Rechten für Homosexuelle und für unsere moderne Kommunikation verwurzelt. „Heute ist all das für uns völlig selbstverständlich. Wir widmen uns deshalb den Schlüsselfiguren, die innerhalb der fünf Jahre von 1966 bis 1971 enorme Turbulenzen in der Kunst, der Musik und der Politik provoziert haben.“

HD 414

Und die Ausstellung selbst ist auch eine Revolution in sich. Wegen ihres ultimativen Sounderlebnisses. „Ohne ihren Soundtrack wäre die Ausstellung nichts“, sagt Marsh. Was er damit meint: Jahrhundertelang war das Prinzip von Museen das gleiche. Besucher laufen durch Räume und sehen sich Dinge an. „Wir haben dann bei der David Bowie Ausstellung festgestellt, dass man das Museumserlebnis für Besucher viel spannender gestalten kann“, sagt Marsh. Indem man ihnen Kopfhörer gibt, auf denen der jeweils passende Song zum Thema oder Raum läuft. „Sennheiser liefert uns den visionären, perfekten Sound zu unserer Ausstellung“, sagt Marsh. Die neue Art des Hörens verändert auch die Inhalte. „Besucher nehmen sie ganz anders wahr. Sie sind nicht so versteift, sondern laufen auch mal tänzelnd oder mitsingend durch die Räume. Musik entspannt. Die Leute nehmen so viel mehr auf, als wenn sie nur Dinge in einem Glaskasten anschauen.“

Soundingenieurin Carolyn Downing ist verantwortlich für diesen immersiven Soundtrack. Den hat Downing von den originalen Vinylen genommen und ihn so aufgearbeitet, dass man seine Authentizität hört. Mit dem Kratzen der Nadel nicht so kristallklar wie moderne Sounds. „Jüngere Leute sollen den Charakter der damaligen Musik erfahren“, sagt Downing. „Wir wollen dem Besucher das Gefühl geben, er wäre mitten in den 60ern.“

Das Gefühl und einen Gedanken. „Jeder Besucher soll nach Hause gehen und eine Frage im Kopf behalten“, sagt Co-Kuratorin Victoria Broackes: „Welche Revolution wird die nächste sein?“